Grundlagen des Rechts der Verwaltungsvereinbarungen – Zugleich eine Einführung in die neuen Bestimmungen des Obersten Volksgerichts zu einigen Fragen der Behandlung von Fällen der Verwaltungsvereinbarung vom 27.11.2019

  • Sandra Michelle Röseler

Abstract

Der Verwaltungsvertrag bereichert nicht nur im deutschen Recht das Handlungsformenrepertoire der Verwaltung. Auch im chinesischen Recht ist der Vertrag als rechtsgebietsübergreifendes Verwaltungsinstrument en vogue. Diese vertragliche Lösung zur Regelung von Verwaltungsrechtsverhältnissen steht dabei an einer besonderen Schnittstelle zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht. Denn sie ermöglicht eine hohe rechtliche Flexibilität. Zugleich war das Verwaltungshandeln durch Vertrag bislang mit erheblicher Rechtsunsicherheit verbunden, weil die Wahl des richtigen Rechtsweges im Falle von Verwaltungsverträgen nicht eindeutig geklärt war. Mit Inkrafttreten des revidierten Verwaltungsprozessgesetzes der Volksrepublik China im Mai 2015 wurde die sog. Verwaltungsvereinbarung (行政协议) in den Katalog justiziabler Verwaltungsmaßnahmen aufgenommen. Dies bedeutete eine wichtige Zäsur für das Verwaltungsvertragsrecht in China. Einerseits wurde hierdurch für den Rechtsanwender mehr Rechtssicherheit geschaffen. Andererseits bot die Revision den entscheidenden Anlass für eine nachhaltige Dogmatisierung des Verwaltungsvertragsrechts. Am 1.1.2020 sind jüngst die neuen Bestimmungen des Obersten Volksgerichts (OVG) zu einigen Fragen der Behandlung von Fällen der Verwaltungsvereinbarung in Kraft getreten. Mit diesen justiziellen Bestimmungen schafft das OVG nun erstmalig ein eigenes Prozessrechtssystem für Verwaltungsvereinbarungsfälle. Insbesondere die Verwaltungsrechtspraxis soll durch diese Bestimmungen eine wichtige Anleitung für die Behandlung zukünftiger Fälle erhalten. Die Haltung der Rechtswissenschaft zum rechtspraktischen Nutzen der Bestimmungen ist indes sehr gespalten. Die Autorin untersucht in diesem Beitrag das Rechtsinstitut des Verwaltungsvertrags unter besonderer Berücksichtigung der neuen Bestimmungen des OVG. Der Beitrag erörtert neben den prozessualen Rahmenbestimmungen insbesondere auch deren rechtsdogmatische Implikationen. Das Ziel des vorliegenden Beitrags ist es aufzuzeigen, dass die neuen Bestimmungen einen wichtigen Wendepunkt für die einheitliche gerichtliche Behandlung von Verwaltungsvereinbarungsfällen darstellen. Gleichzeitig soll verdeutlicht werden, dass weiterhin Unklarheiten hinsichtlich des Anwendungsbereichs der Vorschriften verblieben sind und die Beantwortung materiell-rechtlicher Fragen, insbesondere der (Un-)Wirksamkeit sowie der (einseitigen) Auflösung von Verwaltungsvereinbarungen, eines größeren dogmatischen Gesetzesrahmens bedürfen.

Veröffentlicht
2021-10-19
Rubrik
Aufsätze